Bodenproben

BodenprobenThomas Frahm

Frühe Gedichte 1985–2001

104 S., gebunden mit Schutzumschlag, 18,00 €
ISBN 978-3-929634-76-1

In der Zeit, in der diese Gedichte entstanden, begann der Siegeszug des PC. Das Internet wurde zum Kommunikations- und Informationsmedium schlechthin, und mit den virtuellen Räumen verlor der bislang
übliche 1 : 1 -Maßstab der Wahrnehmung seine Verbindlichkeit.
Etwas Ähnliches, nur viel Faszinierenderes lernte der Autor in Bodenkunde-Vorlesungen kennen, wo Bodenproben, fein geschliffen und unter Glas vom Elektronenmikroskop in riesiger Vergrößerung auf Diafilm aufgenommen, an Weltraumbilder erinnerten und die Vereinigung von Mikro- und Makrokosmos optisch erleben ließen.
Auf diesen Verlust eines äußeren Leitmaßstabs hat Frahm in vielen dieser Gedichte reagiert. Andere dokumentieren die Suche des werdenden Autors nach Themen, zu, und Formen, in denen er etwas zu sagen hat. Schließlich ist da noch dieses alte und mit jeder Generation doch wieder neue Phänomen Jugend, das Menschen seit jeher veranlasst hat, gegen Maß und Mäßigkeit zu rebellieren – immer euphorischer, melancholischer, alberner oder ernster als comme il faut.
So fehlt nicht nur der einheitliche Maßstab, sondern auch der gemeinsame Nenner: Der alles unter sein Joch zwingende Stil muss sich hier selber beugen …

Wünsche
Ich wäre gern der Hut,
aus dem man Hasen zaubert,
Tauben, deren Flattern
das Publikum betört.
Ich hätte gerne Ohren, deren Muscheln
aus den Geräusche-Räuschen, Brandungen
des Stadtverkehrs, der Stimmen
des Alltags Ohrenperlen bildeten.
Und gerne wäre ich der See, in den die Bäche
die schäumenden Geschichten ihren Jugend
hineinerzählen, und der Schwarm der Fische,
der sich im Sommer zwischen Schilf und Schatten
dem Aug der Sonne zeigt.

Selbst-Recycling
An das im Schmutz zu Neuem Geborene
hänge dein Herz! Und das Verlorene
heb so behutsam aus der Scheiße,
als wär es das Wunder der Blendaxweiße!
Fata Morgana: Deine Gelüste
im flimmernden Spiegel. In der Wüste
gerät die Skyline der hohen Gedanken
unter dem Brand der Sonne ins Wanken.

Hüte auch Schafe in Außenbezirken.
Lass dort die Reste Natur auf dich wirken.
Spüre den Regen, wate im Dreck.
Spül dein Papiergeld im Rinnstein weg.
Hast du dich schon nach draußen begeben,
wirf auch die Uhren aus deinem Leben.
Tränke dich mit den Düften der Welt.
Werde Nomade. Schlafe im Zelt.

Weinberg
Das Abendläuten
nach getaner Arbeit,
bei uns nach getaner Ruhe,
nach erschnüffelten Veilchen,
Trüffelfunden, Beeren und Hölzern
nahe der Wurzel,
wenn die Erde der Sonne
das ihre zurückgibt als Schweiß
und die Maulwürfe zitternd
den Einbruch der Nacht erwarten.
Wir haben immer die Erde als Körper gelesen.
Jetzt lesen wir unsere Körper als Erde.
Was wir schon spürten: Die Liebe
versteckt sich als Duft
in wässrigem Milieu.
Gelesen,
gekeltert,
auf Flaschen gezogen,
schläft sie mit flachem Atem,
bis unsre Arbeit getan ist,
sie tief Luft holt
nach getaner Ruhe,
und Gestern und Heute
sich ins Morgen verlängern,
rot
wie der Herbst im Weinberg.