Thomas Frahm: Träume ohne Schlaf

Bulgarische Frauengeschichten Umschlag vornBulgarische Frauengeschichten

156 S., gebunden mit Schutzumschlag, 20,00 €
ISBN 978­-3­-929634­-68­-6

Erscheinungstermin: Juli 2016

 

Kurztext zum Buch

Wenn es stimmt, dass die Frau das Ausland des Mannes ist, sollte er da nicht in die Ferne schweifen, um ihr näher zu kommen? Dort darf er als Fremder auch einmal etwas nicht verstehen. Zuhause heißt es doch gleich, er sei hinter dem Mond.

Diesem Negativum setzen die hier versammelten Geschichten das Wunder des Erzählens entgegen: Sie begreifen den Irrtum, die Verwirrung, das Nichtverstehen und die Unsicherheit ihrer männlichen Helden als wundervolle Chance, hinzusehen und hinzuhören und Frauen zu verstehen als Geschichte, die sich in Worten, Taten, Gesten, Mimik und ihrem Gegenteil erzählen will – und erkennen dabei, dass es manchmal das beste ist, die Klappe zu halten und einfach zuzuhören. Denn manches kann man nicht erklären, man kann es nur erzählen. Beim Erzählen ist zwar viel Lüge, Übertreibung und subjektive Gewichtung im Spiel; aber ist nicht gerade das Teil der Wahrheit über uns Menschen, besteht nicht im Charme solchen Arrangierens die Würde des einzigartigen Einzelnen? Vor allem, wenn dieser einzelne Mensch wenig, weniger, gar nichts besitzt außer sein nacktes Überleben, und auch das nur vorerst? Mehr als die Hälfte der Geschichten sind wirklich von Frauen erzählte; da war ich bloß Beleuchter und Sprachregisseur. Bei manchen war’s halbe­halbe. In zwanzig Geschichten entsteht ganz nebenbei ein vielseitiges Bild vom Leben in Bulgarien heute, und dieses Bild ist in so warmen Farben gemalt, in so viel Sonne getaucht, dass vieles, was hier zu lesen ist, zwar betroffen macht, aber nicht abschreckt.

 

Der Autor

Thomas Frahm, geb. 1961 in Duisburg, studierte Geografie und lebt seit 2000 in Duisburg und Sofia. Er schreibt Lyrik und Erzählungen, Artikel und Essays zu bulgarischen Themen und hat sich auch als Übersetzer der Romane Vladimir Zarevs einen Namen gemacht. Sein Buch Die beiden Hälften der Walnuss war das erste Sachbuch, das sich jenseits der journalistischen Klischees und des Reiseführer­-Rosarot mit Bulgarien auseinandersetzte, indem es auch akribisch die Voreingenommenheiten des Autors im Blick behielt. Der Erfolg des Buches zeigt, wie groß der Bedarf für ein solches Buch war.

 

Inhalt

Glut • Licht der Welt • Trauerfeier • Die Augen einer Katze • Paarfoto • Öffnung des Dritten Auges • Wovon du träumst • Katerinas Martenitsa • Sind Schwertwale wirklich so grausam? • Der Bart ist ab • Zwei Umwege über Deutschland • Kleinstadt­Bohème • Der kleine Pavel und der große Paul • Haltestelle • Unvergänglich • Zwei ohne Schlaf • Heute ist nur eine Erinnerung • Suche nach der Mahala • Sauberkeit • Brautkleid

 

Leseprobe:

Brautkleid

Vielleicht werden wir kein Geld für eine Feier haben, aber ich möchte, dass wir ein Hochzeitsfoto machen, wo ich ein glitzerndes Brautkleid trage und du einen festlichen Anzug mit schimmernden Revers. Seit zwanzig Jahren warte ich nun darauf, dass es auch für mich einmal eine Hochzeit gibt, dass ich Braut bin und alle wissen: Hier, Mara ist die Frau dieses Mannes, sie hat das Brautkleid getragen und ihre Hand unter seinen Ellenbogen geschoben und auf seinen Unterarm gelegt, den Unterarm ihres Mannes.

Da gab es nämlich etwas, das hat mir sehr weh getan. Ist lange her.

Die kamen zu meinen Eltern, wollten mich mit ihrem Sohn verheiraten, der war schon fast zwanzig. Ich gefiel ihm, und er, er gefiel mir auch mit seinen blauen Augen und seiner bescheidenen Art. Ich war erst zwölf und wuss-te noch nicht einmal, wie man sich küsst. Ich war zwar schon voll entwickelt, hatte Formen, wo eine Frau Formen hat, aber keine Ahnung, was eine Frau und ein Mann mit-einander tun.

Dann kam das Fest. Ich dachte in meinem Kindskopf: Ja, das ist jetzt die Hochzeit, meine Hochzeit. Und ich fieberte und fragte mich: Ich brauche doch ein Brautkleid, warum geht keiner mit mir zum Schneider oder in die Stadt, wo man sie fertig kaufen kann?

Tische wurden aufgestellt, Stühle. Tischdecken aufgelegt, die Bühne für die Musikanten errichtet. Fässer mit Wein rollten an, Korbflaschen mit Schnaps. Ein Ferkel drehte sich am Spieß. Alle redeten von der Verabschiedung der jungen Männer, die in die Kaserne mussten, drei Jahre damals, auch mein künftiger Mann, und ich dachte: So ist es recht. Wir werden heiraten, wir sind uns versprochen, doch nun kommt erst die Bewährung. Er geht drei Jahre weg, wird in der Kaserne ein richtiger Mann, und ich warte auf ihn und sammle meine Aussteuer, eine richtige Frau!

Das Fest, der Rekrutenabschied, ging los, und ich wurde unruhig und lief über den Festplatz und suchte meine Hochzeit. Aber ich konnte sie nicht finden. Niemand da, der mir den Weg zu meiner Feier hätte sagen können.

Als ich nach Hause kam, hörte ich meine Mutter mit jemandem schimpfen. Es waren die Eltern meines künftigen Mannes. Meine Mutter schimpfte, wie könnten sie nur glauben, dass sie ihnen ihre Tochter geben werde? Was hätten sie denn zu bieten? Nichts hätten sie zu bieten, arme Schlucker seien sie, Habenichtse.

Ich kannte das Haus und die Eltern meines künftigen Mannes, und ich mochte es dort. Alles sehr ärmlich, sicher, aber sauber. Ein guter Geist waltete in dem Haus, und ich wollte gern dort leben. Viele sind reich und böse, was soll mir das?

Die ganze Nacht ging das Fest, die ganze Nacht hörte ich das Pfeifen der Schalmeien und Klarinetten, das Fauchen der Akkordeone und die Rufe der Trompeten, die Pauken. Die ganze Nacht lag ich da wie gelähmt, ohne Brautkleid, ohne Hochzeit, ohne Mann und ohne Haus.

Dann wurde es hell. Ich schaute durchs Fenster, sah, wie die Rekruten auszogen, mit den Musikern voran. Mein Verlobter war blasser als der Morgen, als er zu meinem Fenster schaute, und dann war er fort.

Als ich über den Festplatz ging, sahen die Tische aus, als sei der König gestorben. Dazwischen wälzte sich beißender Rauch. Er stank, als hätte jemand mein Brautkleid verbrannt.