Zur Gründung des CHORA Verlags

Seit Jahrzehnten beklagen Insider des Literaturbetriebs, es erschienen viel zu viele Bücher, der Markt platze aus allen Nähten, sei nicht mehr überschaubar. Folge: Neben Marktsegmenten, die gut laufen, gibt es eine immer größer werdende Zahl von Titeln, die kaum noch oder gar keine Leser mehr finden. Da braucht es gute Gründe, um dennoch Bücher zu produzieren, ja, mit einem neuen Verlag an die Öffentlichkeit zu treten.

Der CHORA Verlag Thomas Frahm, der 2014 seine Arbeit aufnahm, tut dies denn auch erst nach reiflicher Überlegung, mit einem klaren Konzept und flexiblen Strukturen. Flexible Strukturen, das heißt, der Verlag arbeitet nach einer Art Modul­-System: Es gibt ihn immer nur so viel wie nötig. Dadurch werden die hohen laufenden Kosten, die bei großen Verlagen anfallen, vermieden. Vermieden werden auch die dadurch entstehenden Zwänge, regelmäßig im Frühjahr und Herbst (für Hardcover) oder gar monatlich (für Taschenbuch) neue Titel vorlegen und um Plätze im Buchhandel kämpfen zu müssen. Das Drucken von Auflagen ermöglicht zwar niedrigere Stückpreise, lohnt sich aber nur, wenn auch Stückzahlen abgesetzt werden, die bei Büchern für einen sehr spezialisierten Leserkreis eben nicht abgesetzt werden können.

Ein Verlag wie CHORA möchte und muss solche Abhängigkeiten vermeiden und produziert daher unregelmäßig und nur dann, wenn etwas da ist, das eine Veröffentlichung lohnt. Das Rückgrat des Verlages, die Bulgarien-­Bücher, haben inhaltlich zwar in hohem Maße Neuwert, schließen in ihrer Marktnische also Informations-­, Kenntnis- und Wissenslücken und gehören somit nicht zu den redundanten Titeln der Marke »Das x­-te Buch zum Thema y«; für einen großen Publikumsverlag wären sie aber gar nicht zu kalkulieren, da sie auch einen hohen Aufwand in den qualitätsschaffenden Bereichen der Recherche, des Lektorats und der Korrektur haben, die für mich als Verleger eine Jahrzehnte lange Qualifizierung bedeuteten. Selbst kleine Auflagen, wie kleine Verlage sie herstellen, verursachen neben den Kosten für Druckvorstufe und Druck ja auch noch Kosten für Lagerung, Auslieferung und Werbung, und jeder einzelne Posten davon fällt an, auch wenn man nichts verkauft. Eine schöne Ausstattung, die signalisiert, dass das Buch nach der Lektüre Aufbewahrungswert hat, ist in dieser Form für einen Miniverlag überhaupt nicht zu finanzieren.

CHORA hat sich deshalb entschieden, im volldigitalisierten Printing­-on­-demand­-Verfahren mit Anschluss ans so wichtige, da die Lieferbarkeit im Buchhandel garantierende, Barsortiment zu produzieren. Scherzhaft gesprochen: Der CHORA Verlag kann so die Höflichkeit eines Butlers üben, der das Buch nur dann serviert, wenn danach geklingelt wird. Überflüssige Auflagen und damit Restauflagen, Verramschung etc. werden vermieden. Jedes Buch wird einzeln, auf gutem Papier und meist gebunden mit Schutzumschlag hergestellt und ist dennoch zu einem Preis erhältlich, der nur wenig über dem liegt, den ein großer Verlag für ein gleichwertig ausgestattetes Buch ansetzt – vorausgesetzt, er glaubt, ein paar tausend Stück davon absetzen zu können!

Meine eigene Erfahrung auf dem Buchmarkt zeigt ja, was die Folge ist: Wenn die erforderliche Stückzahl, die sogenannte »Deckungsauflage«, nicht abgesetzt wird, dann werden ganz einfach keine weiteren Bücher mehr mit dem betreffenden Autor und seinem Übersetzer gemacht. Ich bin für meine Roman­-Übersetzungen aus dem Bulgarischen vielfach für renommierte, hoch dotierte Preise nominiert worden, u. a. für den Preis der Leipziger Buchmesse (Kategorie »Übersetzung«), den BRÜCKE BERLIN-­Preis des Hauses der Kulturen der Welt und den Helmut­-Braem-­Übersetzerpreis. Alle waren verbunden mit großem Presseecho. Die Titel sind in renommierten Zeitungen begeistert und ausführlich besprochen worden. Als all dies nicht zu den nötigen Verkaufszahlen führte, war die schöne Karriere des Übersetzers Thomas Frahm beendet.

Nun kann man das beklagen. Aber das ist Zeitverschwendung. Meine Devise lautet:

Das Scheitern ist immer auch Chance für Eigeninitiative! Die Beobachtung, dass bis auf einzelne Glücksfälle fast alle editorischen Projekte, die sich mit bulgarischer Literatur befassen, scheitern, kann man natürlich als ernüchterndes Resultat verbuchen und abhaken. Man kann aber fragen: Warum geht es nicht? Was müsste ich anders machen, damit es geht? Was wird immer übersehen, was fehlt, wo kann ich ansetzen? Dass bei der Fülle der Romane, die schon jetzt den Markt überfluten, die Erfolgschance für Romane bislang unbekannter Autoren aus kleinen oder nicht so attraktiven Ländern wie Bulgarien – das ja bei weitem nicht das einzige Land ist, dessen Autoren es schwer haben auf dem deutschsprachigen und dem globalen Buchmarkt! – verschwindend gering ist, das ist doch eigentlich sonnenklar, und wer allein die beachtenswerten Titel der zehn wichtigsten deutschen Literaturverlage anschaut, der ahnt, dass allein mit ihnen der immer knapper werdende Platz für Literaturbesprechungen in den Medien bereits vollkommen ausgebucht werden könnte.

Dies muss man also bedenken, bevor man Belletristik verlegt. Man sollte auch an die Psyche der Autoren denken. Gerade Autoren aus Ost-­ und Südosteuropa schauen mit Bewunderung, aber eben auch riesigen Hoffnungen auf den deutschen Buchmarkt. Es fällt ihnen oft schwer zu begreifen, warum sie auf einem so großen Markt nicht eine minestens zehnfach so hohe Auflage verkaufen wie im Heimatland. Statt diese oft durch keine Aufklärung zu beseitigenden Riesenerwartungen nicht unnötig zu enttäuschen, ist es besser, gar keine Einzeltitel herauszubringen, die sich dann mit Glück 9x verkaufen.

Die Idee des CHORA Verlages ist daher, zunächst einmal Titel zu entwickeln und herauszubringen, die über Bulgarien informieren. Erst dann, wenn es genügend viele Leser gibt, die dem Verlag Sachkunde attestieren und wirklich wissen wollen, was dieser Verlag für gute bulgarische Literatur hält, erst dann werde ich beginnen, sie zu veröffentlichen. Bis dahin muss es bei Sachbüchern und Anthologien bleiben, die die Autoren auch bei wenig Verkaufserfolg nicht kränken, da sie eben nur Beteiligte sind in einer Art Musterkatalog zum Kennenlernen!

Die Tatsache, dass CHORA gelegentlich doch auch jetzt schon Einzeltitel macht, hat folgenden Grund: Ich als Verleger kommuniziere und arbeite zusammen mit Menschen, die ich schätze. Einige von ihnen schreiben Texte und Bücher, die ich gut finde, die aber – und das wissen die Autoren auch – Nischenprodukte sind, die nicht auf den durchschlagenden Erfolg abonniert sind. Warum, wenn die Autoren sich hierüber und über die eingeschränkten Möglichkeiten des CHORA Verlags im Klaren sind, sollten sie dann nicht erscheinen? Denn dass es auch für sie Leserinnen und Leser gibt, die genau auf dieses Buch gewartet haben, und Überraschungen immer möglich sind, davon ist überzeugt

Ihr Thomas Frahm

P.S.

Was heißt eigentlich CHORA? In der griechischen Urbedeutung ist der choros die Sprecher-­ oder Sängergruppe, die im antiken Drama auftrat. Später hieß choros dann auch Tanz, worunter aber auch der Gruppentanz, also der Reigen verstanden wurde. Die Bulgaren haben das Wort übernommen, bei ihnen heißt der Volkstanzreigen choro – mit Betonung auf der zweiten Silbe. Im Plural wird daraus chora. CHORA heißt aber, wenn man es auf der ersten Silbe betont, auch Leute, Menschen. Und so ist der Namenszusatz des Verlages Thomas Frahm dem Wunsch geschuldet, dass sich Menschen wie Deutsche und Bulgaren zum Beispiel um die Schultern fassen oder an die Hand nehmen und gemeinsam singen und tanzen, sprich: das Leben zum Fest machen.